Von Daniël Wolswijk
Mit unserem ersten Beitrag „5 kritische Punkte für T+1 Europa: Scoping als erster Schritt“ haben wir den Blick auf die Grundlagen gelegt: Wie gelingt es Banken, den Gesamtumfang eines T+1-Projekts realistisch zu erfassen? Nun wenden wir uns dem zweiten Erfolgsfaktor zu: den Abhängigkeiten. Denn gerade hier wird deutlich, warum T+1 für viele Entscheider ein Mammutprojekt darstellt.
Auf den ersten Blick wirken die Verflechtungen so komplex, dass man sich fragen muss: Wo soll man überhaupt anfangen? Zwischen regulatorischen Vorgaben, internationalen Standards, Marktinfrastrukturen und parallelen Großprojekten entsteht ein dichtes Netz von Abhängigkeiten, das ohne klare Strategie kaum zu durchdringen ist.
Der regulatorische Rahmen: Klarheit mit neuen Fragen
Am 17. September 2025 haben Rat und Parlament den Kompromisstext zur Änderung der CSDR veröffentlicht. Damit ist die rechtliche Grundlage für T+1 geschaffen, das Umstellungsdatum 11. Oktober 2027 bestätigt. Der Text enthält zugleich präzise Festlegungen, etwa:
- eine Ausnahme für bestimmte Securities Financing Transactions (SFTs),
- die Möglichkeit einer temporären Anpassung von Cash Penalties, falls es während der Migration zu unerwarteten Risiken kommt.
Die regulatorische Klarheit ist ein wichtiger Meilenstein. Gleichzeitig wird deutlich: Die eigentliche Herausforderung liegt nicht im „Ob“, sondern im „Wie“ der Umsetzung.
Externe Stakeholder und Marktfragmentierung
Europa unterscheidet sich grundlegend von Märkten wie den USA: Hier gibt es 24 Zentralverwahrer (CSDs) im T2S-Verbund, daneben internationale CSDs und lokale Marktinfrastrukturen. Unterschiedliche Cut-off-Zeiten, abweichende Corporate-Action-Standards oder steuerliche Verfahren führen dazu, dass jede Bank zwangsläufig mit einem ganzen Bündel externer Stakeholder arbeiten muss.
Ein jüngst veröffentlichter Beitrag der Deutschen Bank bringt es auf den Punkt: Marktfragmentierung ist einer der größten Risikofaktoren für T+1. Genau deshalb setzt die Roadmap des EU T+1 Industry Committee auf einheitliche „Gating Events“ und einen harmonisierten Operational Timetable.
Auch die AMI-SeCo hat in ihrem Bericht zu Marktbarrieren (September 2025) hervorgehoben, dass Post-Trade-Prozesse in Europa noch immer durch nationale Unterschiede belastet sind. T+1 wird damit zu einem Lackmustest: Gelingt es, Abhängigkeiten zwischen Märkten, Infrastrukturen und Regularien so zu koordinieren, dass ein effizienter Gesamtprozess entsteht?
Standards als Bindeglied: ISO 20022
Eine der größten Stellschrauben ist die Standardisierung der Daten- und Prozesskommunikation. ISO 20022 gilt seit Jahren als zukünftiger Standard – reichhaltiger in den Daten, besser geeignet für Automatisierung und Straight-Through-Processing. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hebt hervor, dass der Nachrichtenstandard der technische Schlüssel zur erfolgreichen Umstellung auf T+1 im europäischen Wertpapierhandel ist, da er die notwendige Automatisierung der Nachhandelsprozesse ermöglicht.
Doch der Status ist nicht eindeutig: ISO 20022 ist im Post-Trade zwar technisch implementiert, aber noch nicht breit angewendet. Viele Akteure nutzen weiterhin ISO 15022 oder hybride Formate. Die T+1-Roadmap selbst verweist auf die parallele Nutzung beider Standards, solange der Übergang nicht vollständig vollzogen ist.
Wertpapierinstitute sollten sich daher im Zuge ihrer T+1-Projekte unbedingt auch mit der Migration auf ISO 20022 auseinandersetzen. Die Vereinheitlichung der Kommunikationsstandards ist eine Grundvoraussetzung, um Prozesse zu beschleunigen, Abhängigkeiten zu reduzieren und Medienbrüche zu vermeiden.
Anhaltspunkte bietet hier die International Securities Services Association (ISSA), die seit Jahren intensiv die Umsetzung von ISO 20022 in der Wertpapierabwicklung vorbereitet. Ihr White Paper „Market Considerations and ISO 20022 Migration Approaches for Securities“ enthält praxisnahe Empfehlungen, wie Märkte den Übergang erfolgreich gestalten können.
Randnotiz: Die ISSA unterhält sowohl eine Arbeitsgruppe zur ISO 20022-Implementierung als auch die „Accelerated Settlement Working Group“, die eine Selbsteinschätzung zur T+1-Readiness anbietet – abrufbar über issanet.org.
Parallele Projekte: Fontus und UNO
Selbstredend geschieht die T+1-Umstellung nicht im luftleeren Raum. Mehrere große Marktinitiativen laufen parallel und überlagern sich in Timelines und Ressourcen:
- Fontus: Wie unsere jüngste Analyse zeigt, überschneiden sich die Meilensteine von T+1 und Fontus in kritischen Punkten. Besonders die Stammdatenversorgung ist ein Nadelöhr – eine Verzögerung auf der einen Seite wirkt sich direkt auf die Umstellung zur verkürzten Abwicklung aus.
- UNO: Auch das Projekt von Clearstream hat hohe Relevanz für Banken. Die parallele Umstellung von Settlement-Prozessen verlangt sorgfältige Planung, um Engpässe bei IT, Ressourcen und Testkapazitäten zu vermeiden.
Diese Beispiele zeigen: Abhängigkeiten sind nicht nur abstrakte Risiken, sondern handfeste Projektkonflikte.
Operative Abhängigkeiten im Tagesgeschäft
Neben den „großen Brocken“ gibt es eine Vielzahl operativer Details, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden:
- Mehrfache Abrechnungsläufe am Tag: Die Beschleunigung des Settlement-Takts erfordert, dass interne Systeme und externe Schnittstellen mehrfach untertägig synchronisiert werden können.
- Untertägige WM-Datenversorgung: Gerade bei Gattungsdaten kann ein verspätetes Einspielen zu Kettenreaktionen führen – bis hin zu Settlement-Fails.
- Standard Settlement Instructions (SSIs): Die Aktualisierung und Harmonisierung von SSIs ist in einem T+1-Umfeld noch kritischer. Jeder Bruch im Prozess bedeutet einen Engpass, der nur schwer am Folgetag behoben werden kann.
Die Roadmap betont deshalb die Notwendigkeit, manuelle Schritte konsequent durch Automatisierung zu ersetzen und Straight-Through-Processing in allen Prozessketten durchzusetzen.
T+1 als technische Herausforderung: Erkenntnisse von der SIBOS
Ein weiteres Feld, das stark von Abhängigkeiten geprägt ist, ist der FX-Bereich. Auf der SIBOS in Frankfurt wurde deutlich: FX-Professionals können T+1 nicht ignorieren. Jede Wertpapiertransaktion mit Fremdwährungsbezug zieht enge Settlement-Timelines nach sich – und damit die Notwendigkeit, FX-Zahlungsströme technisch nahezu in Echtzeit abzugleichen.
Klare Erkenntnis nach unseren Gesprächen mit verschiedenen Marktakteuren: Die Verkürzung des Abwicklungszyklus lässt sich nicht allein organisatorisch bewältigen. Es braucht einen betont technischen Ansatz. Automatisierung, Echtzeit-Daten und harmonisierte Schnittstellen sind die Voraussetzungen, um Abhängigkeiten im Zusammenspiel von Wertpapier- und FX-Settlement zu meistern.
Fazit: Abhängigkeiten aktiv steuern
Die Vielzahl an Abhängigkeiten kann überwältigend wirken – und genau darin liegt die Gefahr. Wer T+1 auf sein eigenes Projekt begrenzt, verkennt die enge Verzahnung mit regulatorischen Vorgaben, internationalen Standards, Marktpraktiken und parallelen Initiativen. Die gute Nachricht: Abhängigkeiten sind kein unüberwindbares Hindernis, sondern eine To-do-Liste für die Projektplanung. Sie lassen sich strukturieren und priorisieren – vom Stakeholder-Management über Standardisierungsinitiativen bis hin zur operativen Detailarbeit.
Nach dem Scoping ist dies der zweite zentrale Schritt auf dem Weg zu T+1: die Abhängigkeiten systematisch erfassen und in den eigenen Projektplan integrieren.
In den nächsten Artikeln unserer Serie widmen wir uns den weiteren Erfolgsfaktoren: Umsetzung, Legacy IT und Testing.