Digitalisierung, Demographie und steigende Anforderungen – öffentliche Verwaltungen stehen unter enormen Druck. Gleichzeitig hemmen interne Hürden wie ineffiziente Abläufe, historisch gewachsene Strukturen und fragmentierte IT-Landschaften den Fortschritt. Wie schaffen es Organisationen, nicht den Kopf in den Sand zu stecken und sich trotzdem zu modernisieren? Andrea Reck und Dr. Daniel Löffelmann beraten öffentliche Institutionen seit vielen Jahren. Im Interview berichten sie, worauf es wirklich ankommt – und wie Organisationen ins Handeln kommen.
Was ist aus Eurer Sicht aktuell die größte Herausforderung für den Public Sector?
Dr. Daniel Löffelmann: Oft ist die größte Schwierigkeit gar keine bestimmte Entwicklung wie etwa der Fachkräftemangel, sondern schlicht der fehlende Überblick – Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Man spürt bei Entscheidern häufig eine große Verunsicherung, weil kein Maßstab vorhanden ist, um Wichtiges vom Unwichtigen zu trennen, Ursache und Symptom auseinanderzuhalten. Dann türmen sich die vielen Einzelthemen rasch zu einem schier unüberwindbaren Berg von Problemen auf. Unter solchen Umständen fällt es schwer, bedeutsame Veränderung anzustoßen, da man nicht weiß, wo genau man ansetzen muss. Zudem besteht das Risiko, dass aus Überforderung heraus, anstelle der dringend notwendigen Grundsatzarbeit, alles auf die eine vermeintlich heilsbringende technologische Karte, wie z. B. KI, gesetzt wird.
Also liegt die Crux in den öffentlichen Einrichtungen selbst?
Andrea Reck: Natürlich sind die äußeren Umstände herausfordernd – aber an ihnen lässt sich ja i. d. R. wenig ändern. Den Schlüssel haben die Institutionen selbst in der Hand. Wichtig ist das Signal: Es gibt einen Plan und es geht strukturiert voran. Organisationsentwicklung ist kein Hexenwerk. Oft sind viele gute Ansätze bereits vorhanden – was fehlt, ist der ganzheitliche Draufblick. Ohne einen Ordnungsrahmen bleibt jede Reform Stückwerk. Wir nutzen dafür ein bewährtes Analysemodell, das sich am Organisationshandbuch des BMI/BVA orientiert.
Wie sieht dieses Modell konkret aus – und funktioniert es in der Praxis?
Dr. Daniel Löffelmann: Es geht davon aus, dass Organisationen komplexe Gebilde sind, die aber eigentlich immer gleich funktionieren und recht simpel aufgebaut sind: Jede Institution besteht aus vier Grundbausteinen: Produkte und Leistungen (1), Performance und Prozesse (2), Personal und Strukturen (3) und technische Ressourcen (4). Gerahmt werden sie durch die übergreifenden Themen Strategie und Kultur.
Andrea Reck: Anhand dieses Rasters lassen sich Sachverhalte schnell analysieren und auf ihre Wurzeln zurückführen. In der Praxis sorgt das nicht nur für eine mentale Entlastung, sondern zur Konzentration auf das Wesentliche. Das Modell schafft Effizienz und Klarheit. Es zeigt auf, wo man anpacken muss, um ein Thema nachhaltig zu erledigen. Und man erkennt, die Folgewirkungen, die dadurch an anderer Stelle hervorgerufen werden. So führen z. B. größere Veränderungen in Arbeitsabläufen dazu, dass Strukturen überdacht und angepasst werden müssen, z. B. durch die Schaffung neuer Teams oder die Umverteilung von Aufgaben.
Wo sollte in der Praxis angefangen werden?
Dr. Daniel Löffelmann: Das hängt natürlich vom konkreten Thema ab. Aber grundsätzlich empfiehlt es sich, bei den Produkten und Leistungen starten – also mit der Frage: Welche Aufgaben werden aus welchen Gründen jetzt und in Zukunft erbracht? Das ist maßgeblich für die Ausrichtung der anderen drei Bausteine.
Welche Rolle spielen dabei die Prozesse und Strukturen?
Andrea Reck: In der Praxis erleben wir häufig, dass Prozesse zwar penibel eingehalten, aber nicht aktiv gesteuert oder hinterfragt werden. Sie werden „vererbt“ und sind zumeist weder dokumentiert noch fühlt sich jemand wirklich verantwortlich, sie zu gestalten. Dabei liegt hier enormes Potenzial: Rollen klären, Redundanzen abbauen, Abläufe vereinfachen – das sind Grundlagen für digitale und automatisierte Lösungen.
Dr. Daniel Löffelmann: Der Aufbau öffentlicher Institutionen folgt i. d. R. historisch gewachsenen Abteilungslogiken mit einer starken vertikalen Hierarchie. Diese Strukturen prägen Verwaltungsabläufe und erschweren Eigeninitiative. Es muss aber andersherum sein – Strukturen sollten Selbstständigkeit fördern und sich an effizienten Abläufen ausrichten, nicht an irgendwelchen Zuständigkeiten von gestern. Über all dort, wo tradierte Strukturen den Prozessfluss behindern, werden Ressourcen nicht wirtschaftlich eingesetzt.
Wie sieht denn ein wirtschaftlicher Ressourceneinsatz aus, vor allem in der IT?
Dr. Daniel Löffelmann: Ein häufiger Irrtum: Mehr Software = mehr Effizienz. Meist wird Digitalisierung zu technisch gedacht – oder sehr impulsiv getrieben, ohne an die Aufgaben und Abläufe zu denken, um die es geht. Wichtig ist, sich die Zeit zu nehmen, die konkreten Anforderungen zu klären, um teure Fehlkäufe zu vermeiden und echte Mehrwerte zu erzielen.
Andrea Reck: Die kleinteiligen IT-Landschaften der öffentlichen Verwaltung verschlingen erhebliche Mittel. Zusammen mit den IT-Dienstleistern muss konsolidiert werden: Nur wenn einheitliche Lösungen für ein- und dieselbe Sache genutzt und überflüssige Parallelstrukturen abgebaut werden, lässt sich die digitale Transformation wirtschaftlich umsetzen.
Könntet Ihr noch mal die Kernbotschaft zusammenfassen?
Dr. Daniel Löffelmann: Damit die Transformation der öffentlichen Verwaltung gelingt, braucht es vor allem eine klare Strategie und ein strukturiertes Vorgehen. Und man muss dasjenige gut verstehen, mit dem man es zu tun hat: Organisationen. Das vorgestellte Analysemodell liefert hier eine bewährte Richtschnur, um diese komplexen Herausforderungen anzugehen.
Andrea Reck: Zum Abschluss vielleicht noch ein kurzer Verweis auf unseren Transformation Readiness Check: Für die öffentliche Verwaltung ist nämlich sehr gut bekannt, welche Faktoren über Erfolg oder Misserfolg von grundlegenden Veränderungen entscheiden. Aufbauend auf diesem Erfahrungswissen haben wir einen Test entwickelt, mit dem sich die Transformationsfähigkeit einer Organisation mit wenig Aufwand objektiv bewerten lässt.