5 kritische Punkte für T+1 Europa: Scoping als erster Schritt

Von Daniël Wolswijk

Die europäische Wertpapierabwicklung steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Ab dem 11. Oktober 2027 gilt für Transaktionen der verkürzte Abwicklungszyklus T+1. Für Banken und Wertpapierinstitute bedeutet dies, sämtliche Prozesse, Systeme und Organisationsstrukturen so anzupassen, dass eine fristgerechte und effiziente Abwicklung jederzeit gewährleistet ist. 

Wir haben bereits im Mai mit dem Beitrag „Der Countdown zu T+1 in Europa läuft“ auf die anstehenden Herausforderungen hingewiesen und einen ersten strategischen Rahmen abgesteckt. In dieser neuen Artikelserie greifen wir die Umsetzung nun praxisnah auf und beleuchten die fünf kritischen Punkte eines T+1-Projekts: Scoping, Abhängigkeiten, Umsetzung, Legacy IT und Testing. 

Scoping als Fundament 

Den Anfang macht das Scoping, das gewissermaßen das Fundament des gesamten Projekts bildet. Ohne eine belastbare Analyse lässt sich weder der Anpassungsbedarf noch der notwendige Kostenaufwand – insbesondere für das Jahr 2026 – realistisch abschätzen. Scoping bedeutet, die gesamten notwendigen Änderungen entlang der Wertschöpfungskette zu erfassen und zu bewerten. Dabei reicht es nicht aus, nur einzelne Systeme oder Prozesse zu betrachten. Entscheidend ist, dass Handels-, Clearing- und Settlementprozesse in ihrer Gesamtheit durchleuchtet werden und auch Schnittstellen zu angrenzenden Bereichen wie Kapitalmaßnahmen, Reporting oder Liquiditätssteuerung in den Blick genommen werden. 

Ein praxistauglicher Ansatz besteht darin, zunächst die sogenannten Plain-Vanilla-Prozesse zu modellieren – also die Standardabläufe vom Ordermanagement bis zur Abwicklung. Diese werden anhand der T+1-Anforderungen überprüft, um frühzeitig Engpässe und notwendige Anpassungen sichtbar zu machen. Darauf aufbauend folgt die Analyse von Sonderfällen und Varianten, etwa bei grenzüberschreitenden Transaktionen oder komplexen Kapitalmaßnahmen. Gerade hier zeigt sich oft zusätzlicher Aufwand, der für die Budgetierung entscheidend ist. 

Rahmenkonzept und Methodik 

Da viele regulatorische Details erst im Laufe der kommenden Monate konkretisiert werden, empfiehlt sich kein rein sequenzielles Vorgehen. Stattdessen hat sich ein hybrider Ansatz bewährt: Einerseits braucht es ein Rahmenkonzept mit klaren Leitlinien für Zielprozesse, Schnittstellen, Datenkonsistenz und Architekturentscheidungen. Andererseits ist es notwendig, die Modellierung und Umsetzung in iterativen Schritten zu gestalten, die Flexibilität für Anpassungen bieten. Agile Elemente wie Sprints und Backlogs ermöglichen es, auf neue Anforderungen zu reagieren, ohne das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren. 

Das Scoping liefert damit nicht nur eine Momentaufnahme, sondern schafft die Grundlage für ein belastbares und zugleich adaptierbares Projektmodell, das bis zum Go-Live 2027 fortgeschrieben werden kann. 

Herausforderungen im Scoping 

Schon in der Scoping-Phase zeigt sich die Komplexität. Unvollständige regulatorische Vorgaben machen es erforderlich, mit Annahmen zu arbeiten, die im Laufe des Projekts überprüft und gehärtet werden müssen. Hinzu kommt die Überlagerung mit anderen Großinitiativen. Besonders hervorzuheben ist das Projekt UNO bei Clearstream, das zeitlich eng mit T+1 zusammenfällt. Beide Initiativen greifen auf dieselben Ressourcen und Systeme zu, weshalb sie strategisch zusammen betrachtet werden sollten. Auch das Projekt Fontus beim WM Datenservice ist hier zu nennen. 

Ein weiterer Aspekt ist die Standardisierung von Schnittstellen. Bereits in ihrer Bewertung zur Verkürzung des Abwicklungszyklus im November 2024 hat die ESMA betont, dass T+1 nur mit vollständiger Automatisierung des Post-Trade-Bereichs und auf Basis internationaler Messaging-Standards realisierbar ist. Damit ist ISO 20022 de facto als verbindlicher Standard für die Wertpapierabwicklung gesetzt – ein Punkt, der die technische Dimension des Scopings nochmals verstärkt. 

Auch technische Engpässe spielen eine Rolle. Systeme im Back Office oder auf dem Mainframe stoßen bei verkürzten Verarbeitungsfenstern an Grenzen. Parallel dazu wirkt die Ausweitung der Handelszeiten belastend, da sie die Batch-Verarbeitung einschränkt und die verfügbaren Zeitfenster für Abgleich und Settlement weiter verkleinert. 

Ausblick 

Das Scoping ist weit mehr als ein vorbereitender Schritt – es ist der Schlüssel zu einem realistischen Budget und zu einem belastbaren Projektplan. Wer die Analyse systematisch durchführt, kann die Dimensionen von T+1 verlässlich abschätzen und frühzeitig die notwendigen Weichen stellen. 

Im nächsten Artikel dieser Serie werden wir uns mit den Abhängigkeiten befassen: Welche internen und externen Faktoren gilt es zu berücksichtigen, und wie lassen sich Überschneidungen mit parallelen Projekten so steuern, dass Risiken minimiert und Ressourcen effizient genutzt werden? 

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