CBDC: Programmierbares Geld – Use Cases im Zahlungsverkehr

Programmable Money

Von Joachim Dorschel und Kai Roßdeutscher

Dieser Beitrag zum Themenkomplex CBDC ist der Frage gewidmet, welche praktische Relevanz programmierbares Geld für den Zahlungsverkehr tatsächlich entfalten kann. Die nachfolgenden Überlegungen beziehen sich zunächst auf alle diskutierten Spielarten programmierbaren Geldes, also sowohl solches, welches von privaten Akteuren als auch solches, das von Zentralbanken emittiert wird.

 

I. Forderungen und Initiativen der Marktteilnehmer

In den vergangenen 12 Monaten war von der Digitalwirtschaft und von der Finanzindustrie recht einhellig die energische Forderung nach Einführung eines programmierbaren Euro zu hören.[1] Man fragt sich allerdings, ob der Bedarf an  programmierbarem Geld im Euro-Raum wirklich so groß ist, wenn seit der Einführung von Bitcoin kaum ein europäisches Institut ernsthafte Bemühungen angestellt hat, entsprechende Zahlungsinstrumente (z.B. Stablecoins) auf Basis der eigenen Banklizenz tatsächlich zu emittieren.

Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) fordert eine von der Politik europaweit koordinierte und regulatorisch abgesicherten Lösung. Dies ist aus Sicht der heutigen Marktgegebenheiten in der Finanzwirtschaft nachvollziehbar, scheint aber die disruptive Dynamik, die neue technologische Konzepte entfalten können auszublenden. Vertreter der Musikindustrie, welche den Beginn der 2000-Jahre miterlebt haben, wissen davon zu berichten, wie wenig sich die digitale Realität um etablierte Marktusancen wie auch gesetzliche und regulatorische Rahmenbedingungen schert.

Besteht aber am Markt tatsächlich ein derart großer Bedarf nach programmierbarem Geld, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die technischen Möglichkeiten in realen Angeboten manifestieren – mit oder gegen die etablierten Marktteilnehmer? Der Umstand allein, dass Länder wie China entsprechende Lösungen forcieren oder Big Techs wie Facebook entsprechende Ankündigungen machen, mögen als alarmistisches Moment taugen, um das Thema in die öffentliche Diskussion zu bringen. Ein Nachweis echter Nachfrage sind sie nicht.

 

II. Use Cases im Jetzt und Heute?

Hier und heute spricht einiges dafür, dass die vorhandenen Angebote die Marktnachfrage im Bereich des Zahlungsverkehrs weitgehend befriedigen.

 

1. Corporate Banking

Im Corporate Banking stehen seit vielen Jahren leistungsfähige Systeme für Echtzeit-Zahlungen im SEPA-Raum zur Verfügung. Vorhandene Defizite im Cross-Border-Bereich scheinen Schritt für Schritt durch Weiterentwicklungen wie SWIFT gpi geschlossen. Die Geldseite von Wertpapiertransaktionen, ein vielfach für programmierbares Geld gehandelter Use Case, ist, wenn man ehrlich ist, zumindest im Anwendungsbereich von T2S schon heute gut organisiert. Das zweifelsfrei vorhandene Optimierungspotenzial scheint nicht so groß zu sein, dass es relevante Marktteilnehmer dazu motiviert, speziell für die Geldseite der Abwicklung von Financial Markets-Geschäften gestaltete Tokens zu emittieren.

 

2. Retail Banking

Im Retail Banking ist das Bild zunächst kein anderes. Instant Payments steht für den gesamten SEPA-Raum zur Verfügung. Im Cross-Border-Bereich haben etablierte Anbieter wie Western Union und MoneyGram wie auch unzählige FinTechs ein breites Service-Angebot für den Zahlungsverkehr entwickelt, welches die wesentlichen Anwendungsfälle wie Heimatüberweisungen und eCommerce abdeckt.

 

3. Entwicklungsländer

Ein klarer Bedarf nach programmierbarem Geld besteht in Ländern mit großen Bevölkerungsanteilen ohne Bankkonto (unbanked population) und einer schlecht entwickelten Finanzwirtschaft. Dort scheinen aber die Märkte, trotz enorm hoher Betroffenenzahlen, nicht lukrativ genug, um flächendeckende Angebote zu rechtfertigen. Auch haben dort Mobilfunkanbieter den Markt für sich entdeckt alternative Mobile-Payment-Angebote entwickelt.

 

4. Ideologische Erwägungen

Eher ideologisch geprägte Überlegungen wie der Aufbau eines von staatlicher Kontrolle unabhängigen, rein algorithmisch gesteuerten Finanzsystems, wie sie etwa im Zusammenhang mit Bitcoin geäußert werden, laufen den Interessen der Finanzwirtschaft wie der Zentralbanken zuwider. Mangels besserer Alternativen kann kaum ein Marktteilnehmer wünschen, dass die heutigen Mittel der Geldpolitik nicht mehr funktionieren. In demokratischen Gesellschaften mit funktionierendem Rechtsstaat spricht auch wenig dafür, Finanztransaktionen in unbegrenztem Umfang vollständig anonym zu ermöglichen.

 

5. Fazit

Ist es also so, dass das Zögern der europäischen Marktteilnehmer, was die Entwicklung programmierbaren Geldes angeht, trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse der nüchternen Erkenntnis folgt, dass es keinen Bedarf am Markt für entsprechende Angebote gibt? Und, wenn das so ist, lohnt es sich für Marktteilnehmer überhaupt, sich mit dem Thema zu beschäftigen? Um die Potentiale programmierbaren Geldes zu bewerten, muss man nach unserer Auffassung über die heutigen Formen der Abbildung und Übertragung von Geld hinausblicken. Zwei Aspekte sind dabei wesentlich: Die Repräsentation von (Buch-)Geld als Forderung von Personen sowie deren Übertragung ausschließlich innerhalb eines geschlossenen Systems von Finanzmarkt-Akteuren.

 

III. Potentiale und das Henne-Ei-Problem

1. Geld als Forderung im Industrie 4.0-Zeitalter

Für Nicht-Banken gibt es Geld nur in zwei juristischen Ausprägungen: Durch Eigentum und Besitz an Bargeld, also Scheinen und Münzen, sowie als Forderung gegen ein Finanzinstitut in Form von Sichteinlagen. Letztere ist insbesondere in der B2B-Wirtschaft die prägende Form für den Austausch von Finanzmitteln.

Forderungen benötigen aber definitionsgemäß einer natürlichen oder juristischen Person als Inhaber. Dementsprechend muss ein Bankkonto ebenso wie ein Account zur Abbildung von E-Geld stets auf eine solche Person lauten. Die Verknüpfung von Forderungen mit Sachen kennen Recht und Wirtschaftspraxis zwar für Sicherheiten (man denke an Grundschuld, Hypothek, Sicherungseigentum oder Pfandrecht), nicht aber für die Darstellung von Finanztransaktionen.

Insbesondere in der Industrie werden unter dem Stichwort IIoT oder Industrie 4.0 zunehmend Szenarien diskutiert, in denen vernetzte Maschinen selbst Zahlungen leisten und entgegennehmen. Gleiches gilt für die Gestaltung von Smart Cities. Solche Use Cases lassen sich mit den vorhandenen Mitteln des Zahlungsverkehrs nur indirekt abbilden. Einer Maschine selbst und unmittelbar Finanzmittel zu übertragen, wäre nur dadurch möglich, dass man Bargeld in oder an der Maschine deponiert – ein Prinzip, nach dem seit jeher Münzautomaten funktionieren.

Mit programmierbarem Geld wäre es leicht, Maschinen oder ihren digitalen Zwilling mit Wallets zu versehen und ihnen so, auf Basis welcher juristischen Konstruktion auch immer, unmittelbar Finanzwerte zuzuweisen. Dies gilt zunächst unabhängig davon, ob diese Finanzwerte wiederum juristisch eine Forderung gegen einen Emittenten programmierbaren Geldes sind oder, im Falle von CBDC, dem Bargeld gleichgestelltes Zentralbankgeld.

 

2. Smart Contracts in geschlossenen und offenen Zahlungssystemen

Nur Banken können Giralgeld schöpfen und Bankkonten führen. Die Übertragung von Giralgeld erfolgt mithin in einem geschlossenen System zwischen Banken. Aus Sicht der Realwirtschaft ist für die Übertragung von Finanzmitteln stets eine Interaktion mit einer Bank erforderlich. Hierfür gibt es etablierte Schnittstellen wie EBICS, FinTS etc.

Die Funktionsfähigkeit dieser Schnittstellen steht außer Frage. Allerdings basiert das gesamte System stets darauf, dass es der freien Entscheidung des Zahlers obliegt, eine Transaktion zu initiieren oder nicht. Die PSD2 schreibt dieses Prinzip regulatorisch fest und verlangt eine spezifische Authentifizierung seitens des Zahlers, um diese zu gewährleisten.

Damit liegt es stets in der Hand des Zahlers, eine gegen ihn gerichtete Forderung zu erfüllen. Sachverhalte, bei denen der Zahlungsempfänger die Sicherheit benötigt, die Zahlung tatsächlich zum vorgesehenen Zeitpunkt zu erhalten, bedürfen eines Dritten, sei es als Treuhänder oder Garantiegeber.

Bei der Entwicklung von Smart Contracts auf Basis von DLT ist es dagegen grundsätzlich möglich, Schuldverhältnisse so zu automatisieren, dass die Erfüllung von Forderungen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen unabhängig von weiteren Ausführungshandlungen der Vertragspartner automatisch erfolgt. Besteht die Erfüllung einer Forderung in einer Geldzahlung, muss allerdings eine Instruktion aus dem Smart Contract in das geschlossene System des Zahlungsverkehrs erfolgen. Dies ist Stand heute nicht möglich, ohne dass der Zahler die Ausführung der Zahlung explizit autorisiert.

Programmierbares Geld, das die Einbindung von Wallets in Smart Contracts erlaubt, würde dagegen eine nahtlose Selbstausführung von Verträgen einschließlich der Zahlung erlauben. Wo heute Dienstleister als eine Art Treuhänder Risiken aus Leistungsstörungen in Verträgen mitigieren (man denke an den Käuferschutz von PayPal), könnten Algorithmen die für eine vertragskonforme Abwicklung sorgen. Eine so mögliche risikofreie Abwicklung von Zug-um-Zug-Geschäften könnte die Transaktionskosten in unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen signifikant senken.

 

3. Fazit

Das Thema programmierbares Geld scheint vor einem Henne-Ei-Problem zu stehen. Die Geschäftsmodelle, für die programmierbares Geld tatsächlich benötigt würde, existieren heute noch nicht, können aber ohne programmierbares Geld auch nicht sinnvoll entwickelt werden. Dies mag erklären, warum die Industrie auf die Finanzwirtschaft wartet und die Finanzwirtschaft auf die Zentralbanken und den Regulator. Allerdings schreiten in den USA (Libra) und in China (Digitale Staatswährung) die Marktakteure forscher voran, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Markt besetzt ist, wenn die europäischen Akteure sich entschließen, den Henne-Ei-Deadlock aufzubrechen. Beispiele wir Paydirekt oder Gaia-X zeigen, wie schwer es ist, im Falle disruptiver Entwicklungen als technologischer Nachzügler Marktanteile zurückzugewinnen.

 

Ein erster Blogbeitrag zu diesem Themenkomplex ist unter dem Titel „Programmierbares Geld – Diskussionsstand“ erschienen.

 

 

[1] Vgl. etwa das Papier des BdB mit dem kämpferischen Titel „Europas Antwort auf Libra“ https://bankenverband.de/themen/europas-antwort-libra/ und das Infopapier des Bitkom „Digitaler Euro auf der Blockchain“ https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Digitale-Waehrungen-Europa-droht-den-Anschluss-zu-verlieren, welches nicht minder kämpferisch unter der Überschrift „Digitale Währungen: Europa droht den Anschluss zu verlieren“ veröffentlich wurde.

[2] Die Musikindustrie erlebte mit der Ausbreitung des mp3-Formats einen rapiden Umsatzrückgang, der sich auch durch zahlreiche Verschärfungen  der urheberrechtlichen Sanktionsmechanismen nicht aufhalten ließ. Erst der Erfolg der Streaming-Dienste brachte die Trendwende. Der weltweite Gesamtumsatz lag aber 2019 immer noch deutlich unter dem Niveau von 1999.

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